Bartagamen in der tiergestützten Intervention

„Sollten Bartagamen in der tiergestützten Intervention eingesetzt werden? -
Ich sage ja! Es ist nötig und möglich!“


Text: Kerstin Martensen (Fachkraft für tiergestützte Intervention)


Meine Bartagamen wurden vor etwa sechs Jahren schon jung beim Tierschutz abgegeben und leben seit dieser Zeit bei mir. Mit dem Bartagamenpaar besuche ich ein Kriseninterventionszentrum für Jugendliche, die massive Verhaltensauffälligkeiten bzw. psychiatrische Störungsbilder zeigen und eine integrative Kindertagesstätte mit dem Schwerpunkt der sozial-emotionalen Förderung.


Kerstin Martensen

Warum Bartagamen in der tiergestützten Intervention?


Ich verfolge hiermit zwei Schwerpunkte, die für die Arbeit mit Tieren, die Klienten und mich von großer Bedeutung sind.

1. Diese Tiere sind gute Brückenbauer mit den Schwerpunkten Wertschätzung, Empathie und Vermittlung von Verantwortungsgefühl gegenüber Schwächeren.

2. Mit ihrem exotischen Aussehen zeigen sie deutlich, dass sie eine besondere Versorgung in unseren Klimazonen benötigen. Hier nimmt der Tierschutz Raum ein. Den Klienten wird vermittelt, was diese Tiere für ein bestmögliches Leben hier benötigen und wie sie zu handhaben sind.



Bartagamen in der tiergestützten Arbeit mit Jugendlichen in einem Kriseninterventionszentrum in NRW


Im Kriseninterventionszentrum sind es immer zwei Jugendliche, die an den tiergestützten Interventionen teilnehmen. Diese werden von dem Betreuungsteam der Institution ausgewählt, wobei es auch zu Einzelbetreuungen kommt. Der
Einsatz mit den Tieren wird immer vorher mit den Pädagogen abgesprochen und geplant und wir werden über das Störungsbild des Klienten informiert. Übergriffiges Verhalten habe ich nicht bei meinen Angeboten mit den Tieren erlebt. Allerdings ist es notwendig, aufmerksam die Klientel zu beobachten und bei Schwankungen abzubrechen.
Sollte die Vorgeschichte der Jugendlichen Tierquälerei aufzeigen, dürfen diese nur beobachtend teilnehmen und sind von jeglichem Kontakt mit dem Tier ausgeschlossen.


Informationsvermittlung, Beobachtung und Gespräche


Zu Beginn einer Einheit werden die Bartagamen beobachtet und Informationen über die Besonderheiten dieser Tierart, ihrer Herkunft und die artgerechte Unterbringung vermittelt. Über die Tiere kommen selbst die introvertierten
Jugendlichen leichter ins Gespräch. Es fallen Äußerungen wie „geil“, „wollte ich auch schon immer“ „ein Freund von mir hat die auch“, „wir hatten viele Tiere zu Hause“. Häufig gehen diese Gespräche in Erinnerungen an ihr Zuhause und in bereits erfahrene Situationen über, die jetzt ein emotionaler Schwerpunkt für sie sind.
Viele Jugendlichen haben diese Tierart o. ä. schon mal gesehen, einige sogar schon Kontakt mit ihr gehabt. Hier setzt nun der Tierschutzgedanke an, welcher auch in weiteren Settings immer wieder vertieft wird. Dabei wird der pädagogische Ansatz, Lernen durch das praktische Tun und Erleben, verstärkt und besser verankert als durch das gesprochene oder gelesene Wort.



Taktile Erfahrungen mit den Bartagamen


Sicher sind Bartagamen oder andere Reptilien keine Tiere, die man in die Hand nimmt, sie streichelt oder mit ihnen kuschelt.
Die Jugendlichen legen ihre Hand auf den Boden (in meinen Einheiten wird mit den Tieren immer auf dem Boden gearbeitet) und bieten ihnen Grünfutter an. Nicht immer wird das Futter angenommen, doch Erhöhungen wie Hände (immer auf dem Boden angeboten) oder Schoß (hier sitzt der Klient auch auf dem Boden) werden schon mal von den Tieren genutzt.
Das artspezifische Verhalten der Bartagamen steuert diese Aktion, da sie gerne auf leicht erhöhte Punkte klettern. Es ist erstaunlich, welche Geduld diese Jugendlichen aufbringen können, um eine Berührung mit der Bartagame zu erfahren. Die Klienten staunen manchmal selbst über ihr Verhalten.



Es ist ratsam, sich auf eine Ebene mit den Bartagamen zu begeben. Sie können auf Augenhöhe versuchen den Lebensumstand der Tiere leichter einzuschätzen und genauer beobachten. Gerade für Laien ist es schwierig, Stress- und Verweigerungsverhalten der Tiere zu erkennen. Es ist immer absolut zu vermeiden, die Tiere in diesen Zustand zu bringen. Ich empfehle hierfür den Einsatz von Bildern, die solche Gefahren- und Stresssituationen zeigen. Das passende Material ist im Internet oder entsprechender Literatur gut zu finden.
In dieser besonderen Atmosphäre und dem Blick aus einer anderen Perspektive, finden die Jugendlichen leichter einen Weg, Reptilien wie auch andere, kleinere Tiere empathisch als eigenständige Lebewesen mit dem Recht auf autonomes Verhalten wahrzunehmen.
Es ist wesentlich, dass den Jugendlichen bei der ersten Begegnung vorbildlich gezeigt wird, dass man mit Ehrfurcht und Respekt den Tieren begegnet.
Auf diese Altersgruppe üben Reptilien im Besonderen eine starke Attraktivität aus, oft nur um mit ihnen ein exotisches Prestigeobjekt zu besitzen. Dieses Bild gilt es, zu durchbrechen. Die Jugendlichen reagieren dann oft mit den Worten wie „Süße, ich passe auf dich auf“, „du musst keine Angst haben, hier kann dir niemand was tun“, „ich habe dich lieb" u. ä. Solche zärtlichen Aussagen wurden von vielen, dieser meist männlichen Klienten, schon lange nicht mehr verwandt.
Der Kontakt mit den Bartagamen weckt bei vielen Jugendlichen positive Emotionen und wird meist ehrfürchtig angenommen. Wenn diese Jugendlichen nach dem Setting von anderen Jugendlichen der Einrichtung in Empfang genommen werden, outen sich die meisten auch noch in der Gruppe mit feinfühligen Worten über diese Tiere. Diese Äußerungen werden von den anderen Jugendlichen mit Erstaunen und Neugierde hingenommen, was sie in anderen Situationen meist nicht zulassen. Die positive Atmosphäre kann sich auf die Gruppe übertragen.
Die Settings sind eine gute Möglichkeit, präventiv Tierschutz zu betreiben. Denn es sind gerade die jungen Menschen, welche sich für die Haltung von Reptilien entscheiden.
Selbst Jahre später haben Jugendliche, bei Nachbetreuungen oder zufälligen Begegnungen noch gut ihr Wissen über eine artgerechte Haltung und den Umgang mit Bartagamen abrufen können. Es war für viele ein einschneidendes Erlebnis. (…)


Wer sich für tiergestützte Intervention mit Bartagamen in einer integrativen Kindertagesstätte mit sozial-emotional auffälligen Kindern interessiert, kann dies im „Sommernewsletter Juni 2017" nachlesen.


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